Geht es um den Welt Frauen Tag, ist der Begriff „Gender Pay Gap“ vielen bekannt.
Es ist die Lücke in Sachen Einkommen zwischen Männern und Frauen. Wenn es um Führungspositionen geht, gibt es auch das eine oder andere derzeit ungelöste Problem, das seit dem ersten Weltfrauentag im Jahre 1911 immer wieder besprochen wird.
Schaut man sich zum Welt Frauen Tag um, gibt es von fluffig-blumigen Themen bis hin zu vielen wiederholten Diskussionen viel, über das wir schreiben könnten.
Aber es gibt eine Lücke, die haben nicht wirklich viele auf dem Radar: Gender Data Gap.
Ein Satz, den wir lange schon hören: Gesundheit ist weiblich.
Was auch stimmt, schaut man sich das Thema genauer an. Auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung erklärte 2021 anhand einer Statistik, dass der Anteil der Studierenden in der Medizin aus zwei Drittel Frauen besteht.
Diese Behauptung, dass Frauen die Gesundheitsmanager einer Familie sind, kommt auch nicht von ungefähr. Frauen versorgen Familienmitglieder im Krankheitsfall, übernehmen Pflege für Kinder und ältere Angehörige. Passiert etwas mit einem Familienmitglied, kennen sie die Krankheitsgeschichte sehr genau und versorgen den Notarzt mit ersten notwendigen Daten. Damit sind sie wohl eine der größten, sich ständig erweiternden Sammlung von Gesundheitsdaten. Jede Erkrankung verschafft hier wichtige Updates, die natürlich geteilt werden. Mit Ärzten, Therapeuten und nicht selten mit anderen, Freundinnen, Verwandten oder auch Kolleginnen oder Kollegen. Man spricht über Erfahrungen mit Medikamenten, empfiehlt Ärzte oder Therapeuten und teilt damit, meist unbewusst, Gesundheitsdaten mit anderen.
So gesehen: Wir sind umgeben von Gesundheitsdaten
Sie helfen Ärzt:innen bei der Diagnosestellung, unterstützen Patient:innen bei Therapieentscheidungen und liefern wichtige Befunde von Laboruntersuchungen wie zum Beispiel einer Blutuntersuchung. Diese Daten entstehen im ersten Kontakt, sie informieren über einen Menschen, daher nennt man sie im Fachjargon auch primäre Gesundheitsdaten. Sammelt man diese Daten in einem Datensatz und analysiert man sie, spricht man von einem sekundären Nutzen. In dem Fall helfen Menschen mit ihren Daten anderen Menschen. Entweder bei der Diagnose, Verbesserung der Lebensqualität usw.. Ein weiterer Sammelpunkt von Gesundheitsdaten sind klinische Studien. Sie werden oft von der pharmazeutischen Industrie mit entsprechenden Ärzt:innen durchgeführt. In klinischen Studien wird zum Beispiel die Wirkung eines Medikamentes oder die Dosierung geprüft.
Am Ende ist das alles eins: Daten. Oft sind sie lebenswichtig, können positiven Einfluss auf die Lebensqualität einer Person haben und dafür sorgen, dass Patient:innen wieder gesund werden oder Erkrankungen in ihrer Progression zumindest gestoppt werden.
Daten sind überall und dennoch sind da Lücken im System
Was uns zur Gender Data Gap bringt. Die Lücke, die sich auftut, wenn man Männlein mit Weiblein vergleicht. Weil eben nicht Frau und Mann gleich sind. Beispiel? Herzinfarkt ist nicht gleich Herzinfarkt, wer sagt uns, dass Frauen nicht eine andere Dosierung bei Medikamenten brauchen als Männer? Könnten Daten hier nicht helfen, eine Lücke im Wissen zu schließen? Behandlungsmethoden zu verfeinern und geschlechtsspezifisch anzupassen? Damit auch Medizin zu personalisieren?
Gender Data Gap - was ist das also?
Unter dem Begriff „Gender Data Gap“ versteht man im Allgemeinen, dass geschlechtsspezifische Daten, die für ein Handlungsfeld entscheidungsrelevant sind, fehlen. Gap = Lücke.
Um diese Lücke zu füllen, ist es nötig, Daten nach Geschlecht sortiert zu erheben und auszuwerten. Wichtig ist das zum Beispiel besonders, wenn es um die Nutzung von künstlicher Intelligenz (KI) und damit dem maschinellen Lernen geht. Also wenn man einen Algorithmus entwickelt, der hilft, kleinste Merkmale von Erkrankungen aus Tests in der Radiologie etc., zu erkennen. Denn eine vollständige Datengrundlage ist die Grundvoraussetzung für den vertrauensvollen und transparenten Einsatz von KI-Systemen. Außerdem muss vermieden werden, dass der Gender Bias, also ein geschlechtsbezogener Verzerrungseffekt entsteht, der für sexistische Vorurteile oder Stereotype sorgen würde, vermieden wird. Sonst riskiert man eine lücken- oder fehlerhafte oder auch vorurteilsbehaftete Datei, die von der KI reproduziert wird.
Es gibt viele Ideen oder Prinzipien, die sich um diese Lücke ranken - wir haben mal nachgefragt!
Zum Beispiel Eva Schumacher Wulf. Eva ist Mitglied unseres Beirates und lebt mit metastasierendem Brustkrebs und fragt sich: Geschlechtsspezifische Daten – Woke Idee oder medizinisch sinnvolle Forderung?
(Woke – ist aus dem englischen “wake”, also wach. In dem Zusammenhang steht woke für eine besonders engagierte und bewusste Diskussion rund um geschlechtsspezifische Daten)
Die gesellschaftlichen Genderdiskussionen nehmen zurzeit viel Raum ein. In der Debatte geht etwas unter, dass es biologisch tatsächlich Männer und Frauen gibt. Ja, ich traue mich, das zu sagen. Denn in der Medizin spielt das eine große Rolle. Männer und Frauen haben nicht nur andere Gesundheitsrisiken und Krankheitsverläufe, sie reagieren beispielsweise auch unterschiedlich auf Medikamente. In der Bewertung von Lebensqualität, die glücklicherweise einen immer größeren Stellenwert in der Entwicklung und Bewertung neuer Medikamente einnimmt, spielen auch unterschiedliche Parameter eine Rolle. All das wird bis heute nicht separat erfasst, wäre aber dringend nötig, um den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten gerecht zu werden. Es geht hier also um mehr als eine woke Idee, weshalb ich mir auch eine Diskussion wünsche, die weniger emotional aufgeladen ist. Daten retten und verbessern Leben, wenn sie sinnvoll erhoben und genutzt werden.
Man könnte jetzt behaupten, dass diese Diskussion durchaus nicht nötig ist, hat doch die EU im Jahr 2021 mit Wirkung zum 31.01.2022 beschlossen, dass klinische Studien eine repräsentative Geschlechter- und Altersverteilung aufweisen müssen. Zudem wurde beschlossen, dass die Studienergebnisse für Laien, also für normale Menschen verständlicher und zugänglicher gemacht werden.
Die Frage ist: ist dem so? Sind Studienergebnisse einfacher zugänglich und verständlich? Oder ist es überhaupt nicht nötig, Daten aufzuteilen?
Eine gewollte Lücke in der Vergangenheit, nun eine Chance für die Zukunft, bessere Versorgung für alle Menschen zu gewährleisten?
Auffällig beim Thema Gender Data Gap ist weniger, dass es die Lücke gibt, vielmehr stellt sich die Frage, warum diese in der Vergangenheit selten in der aktuellen Breite diskutiert worden ist.
Verantwortlich dafür ist zum einen die in ihren Anforderungen statische Forschungsindustrie. Zum anderen ist es auch das fehlende öffentliche Interesse, Gesundheitsdaten in ihrer Komplexität zu erfassen, zu verstehen und zu diskutieren.
Zusätzlich existiert ein grundsätzlicher blinder Fleck in der Gesundheitswirtschaft hinsichtlich spezifischer menschlicher und sozialer Parameter, ob weiblich oder auch hinsichtlich sozialem Milieu, der u.a. auch dem geringen Frauenanteil in Führungspositionen im Gesundheitsbereich geschuldet ist, wie auch die Analyse „Frauen in der Gesundheitswirtschaft 2020“ von PwC zeigt.
Gerade wenn es um eine bessere wie geschlechtsspezifische Versorgung in der Medizin geht, müssen geschlechtsspezifische Unterschiede in der Erhebung von Gesundheitsdaten stattfinden. Es ist die gesamtgesellschaftliche Verantwortung, diese Unterschiede wahrzunehmen und in die Gesundheitsversorgung zu integrieren.
Das kann in der Entwicklung von Wirkstoffen und Therapieansätzen geschehen. Ein anderer Ansatz liegt in der Wertschätzung gegenüber Frauen, die sich jeden Tag in der Gesundheitswirtschaft und für die Bevölkerung für gute Gesundheitsversorgung, personalisierte Medizin und sinnvolles wie wirksames Erkrankungsmanagement einsetzen. Egal ob professionell oder aber auch für ihr direktes Familienumfeld.
Es gibt viel zu tun
Für Frauen geht es nicht nur um gute medizinische Versorgung und Vorsorge sondern auch für bessere, geschlechterspezifische, nicht nur personalisierte Medizin. Die Lücke, also die Gender Data Gap ist eine Lücke, die schließbar ist. In dem wir Daten geschlechtsspezifisch sortieren, auswerten und damit auch feststellen, wo es wirklich Lücken gibt und wo nicht. Denn wenn ein Herzinfarkt bei Frauen anders auftritt als bei Männern, wissen wir, dass ein Schlaganfall so gut wie gleich bei Frauen und Männern verläuft. Die Frage wird also sein, diese Lücken aufzuspüren und daraus neue Erkenntnisse zu ziehen. Entweder aus bereits vorhandenen, neu sortierten Daten oder aber aus denen, die von Menschen geteilt wurden, um Medizin zu verbessern.
Daten können auch in diesem Fall durchaus einen wichtigen Einfluss auf unsere Versorgung haben. Wenn sie genutzt werden. Können.
Weitere Leselinks:
Frauen sind oft unterrepräsentiert in klinischen Studien:
https://www.profil.de/blog/geschlechterverhaeltnis-in-klinischen-studien
https://zeitfuerx.de/forschung/fatale-folgen-fuer-frauen/
Gender Data Gap - https://www.br.de/nachrichten/wissen/datenluecke-in-der-medizin-frauen-noch-immer-im-nachteil,SzVTJ7u
Autoren: Team DSL Deutschland!
Bilder: unsplash.de / Shutterstock